Vor 100 Jahren: Mihla und die Region am Beginn einer neuen Zeit 

Das Jahr 1919 ist in der deutschen Geschichte ein sehr wichtiges Jahr. Der Weltkrieg war gerade mit dem Abschluss des Waffenstillstandes und der deutschen Niederlage beendet worden (11. 11. 1918), dem waren revolutionäre Unruhen in Kiel, Hamburg, München, Dresden, Berlin und anderen Städten vorausgegangen. Der Kaiser und die regierenden Fürsten, darunter auch der letzte Großherzog von Sachsen-Weimar, hatten abgedankt; Kaiser Wilhelm II. und seine Familie waren im holländischen Exil. 

Viele Männer, auch aus Mihla, waren noch bei der Armee, die nur allmählich von den einzelnen Kriegsschauplätzen zurückgeführt wurde, viele waren auch noch in Kriegsgefangenschaft. Es gab in vielen Familien Leid und Trauer um die Gefallenen, allein aus Mihla waren es über 60, weitere galten als vermisst (71 Kriegsopfer wurden später amtlich festgestellt). 

Schon Anfang des ersten Friedensjahres fielen wichtige politische Entscheidungen. Im Januar fand die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung statt, ein neuer Staat, die “Weimarer Republik”, war im Entstehen. Aus den Wahlen gingen die demokratischen Parteien, die Sozialdemokratie als stärkste Partei, die Demokratische Partei und die Zentrumspartei, als Sieger hervor. Sie schlossen während der ersten Tagung der Nationalversammlung in Weimar eine gegen Rechts und Links gerichtete Koalition ab. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wurde zum Reichspräsidenten und Staatsoperhaupt gewählt; Regierungschef wurde Philipp Scheidemann, ebenfalls SPD. Wichtige Entscheidungen standen vor der neuen Regierung. Die neue Verfassung musste auf den Weg gebracht werden, in der erstmals in Deutschland auch die Frauen Wahlrecht erhielten.  Wahrhaft demokratische Verhältnisse wurden geschaffen, die Macht sollte von den Vertretern des Volkes ausgehen. Aber viele Deutsche konnten mit diesen Möglichkeiten wenig anfangen; zu sehr war man an die politischen Verhältnisse aus dem Kaiserreich gewöhnt. Zu gerne hörte man noch auf diejenigen politischen Kräfte, die eigentlich immer den Ton angegeben hatten... 

In Mihla waren dies vor allem die Rittergutsbesitzer und die Vertreter der politischen Parteien. Doch auch in unserem Ort gewann die SPD an politischer Stärke. Bei den letzten Reichstagswahlen vor dem Krieg hatten sie bereits die meisten Stimmen auf sich vereinen können. 

Schwierig war der Umgang mit der Vergangenheit des Krieges. Im Sommer wurde von den Siegermächten der Versailler Vertrag unterzeichnet und der deutschen Delegation aufdiktiert, ein Vertrag, der Deutschland allein die Kriegsschuld zuwies und nicht erfüllbare Forderungen umfasste. 

In den großen Städten raste der Bürgerkrieg zwischen den Rechten und Linken. Mit Schrecken hörte man, dass Deutsche auf Deutsche schossen. 

Vor diesem politischen Hintergrund sind die Ereignisse in Mihla des Jahres 1919 zu sehen und zu bewerten. 

Januar: 

- Die schon im Jahre 1918 begonnene öffentliche Diskussion um die plötzliche Abreise des Besitzers des Rittergutes „Rotes Schloss“, des anerkannten Jenaer Nervenarztes Professor Dr. Binswanger, in die Schweiz wird nun in unschöner Art in der Presse fortgesetzt (zu Binswanger siehe unter “Personen”). Die Vorwürfe an den Arzt reichen bis zum Landesverrat. 

- Am 19. Januar finden die Wahlen zur Nationalversammlung statt. In Mihla wird wie folgt gewählt: 

- Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP)          - 78 Stimmen

- Christliche Volkspartei                                 -   5 Stimmen

- Demokratische Partei (DDP)                         - 290 Stimmen

- SPD                                                           - 489 Stimmen

- Unabhängige Sozialdem. Partei (USPD)         -   94 Stimmen 

Wahlsieger ist damit die SPD, die nun auch bei den bevorstehenden Gemeinderatswahlen die Mehrheit erlangen und den Bürgermeister stellen will. 

Februar: 

- Das „Rote Schloss“ wird von dem neuen Eigentümer, einem Herrn Scharpenseel, nach nicht einmal einem Jahr weiterverkauft. Neuer Besitzer wird ein Herr Lichtenberg. Dieser teilt der Gemeinde gleich nach dem Kauf mit, dass er nur von 887.000 Reichsmark der gesamten Kaufsumme in Höhe von 1.450.000 Reichsmark die geforderte Besitzvermögensabgabe an die Gemeinde zahlen will. Damit beginnt ein Rechtsstreit zwischen der Gemeinde und dem neuen Besitzer Lichtenberg. Dessen Ruf ist nicht gerade gut, er gilt in Fachkreisen als “Güterschlächter”. 

- Bürgermeister Baumbach (siehe unter “Personen”) geht aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand, nachdem er sich bereits seit einigen Wochen krank gemeldet hatte. Die Amtsgeschäfte führt sein Stellvertreter Meyfarth. 

März: 

- Lichtenberg erklärt sich bereit, 12.000 Reichsmark Besitzvermögensabgabe zu zahlen. Dies entspricht nicht den Forderungen der Gemeinde. 

- Der Gemeinderat beschließt, ein neues Postgebäude bauen zu lassen. 

- Die Demokratische Partei, die bei den Wahlen am 19. Januar das zweitbeste Ergebnis unter den in Mihla antretenden Parteien erzielt hat, gründet eine eigene Ortsgruppe mit 31 Mitgliedern. Man beschließt, an den bevorstehenden Wahlen zum Gemeinderat teilzunehmen. 

- Am 30. März finden Wahlen zum 1. Thüringer Landtag (das Land Thüringen ist neu gegründet worden, die ehemaligen thüringischen Länder wurden nach der Abdankung der Fürstenhäuser aufgelöst) und gleichzeitig zum Gemeinderat Mihla statt. 

Ergebnisse der Landtagswahlen: 

- Deutsch- Nationale Volkspartei (DNVP):        103 Stimmen

- Deutsche Volkspartei (DVP):                         217 Stimmen

- Zentrum:                                                       0 Stimmen

- SPD:                                                          379 Stimmen

- Unabhängige Sozialdemokr. Partei (USPD):     60 Stimmen  

Bei den Gemeinderatswahlen treten an: 

- SPD: 447 Stimmen, Demokratische Partei (DDP): 75 Stimmen und Unparteiischen: 232 Stimmen. 

Die Wahlbeteiligung war sehr gering. Von 1200 Wahlberechtigten nehmen nur 800 teil. Die SPD erhält 7 Sitze im Gemeinderat, die Unparteiischen 5. 

- Der neue Gemeinderat konstituiert sich. Als Ratsvorsitzender wird W. Fehr gewählt, sein Stellvertreter wird Lehrer Göpel. 

Es bleibt spannend... Über weitere Ereignisse vor 100 Jahren demnächst. 

Wie sah es vor 100 Jahren aus in Mihla? Einige Fotos von längst vergessenen Gebäuden: 


Haus Trabert/Böttger auf dem Markt um das Jahr 1920. Wenig später wurde das Fachwerk verputzt. 


Schmiede Böhning in der Dietzelsgasse um 1920. Das Pferd des Schmiedes kam als "Kriegsbeute" aus dem Weltkrieg nach Mihla. 


Flaschenbierhandlung Stötzel (später oft "Bierstötzel" genannt) auf dem Münster, Aufnahme um 1920. 

Rainer Lämmerhirt