Heimatgeschichte - Vor 150 Jahren entstanden die ersten Zigarrenfabriken in Mihla

Bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gab es außer der bereits genannten Wachstuchfabrik und einer Leinenfabrik, die beide mit nur wenigen Beschäftigten und zudem nur kurzzeitig existierten, keinerlei Industrie im Ort. Lediglich eine Ziegelhütte (Besitzer Baumbach, Flurname „In der Ziegelhütten") arbeitete für den Bedarf im Ort. Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts setzte sich die bereits in den benachbarten Orten und im Eichsfeld beheimatete Zigarrenindustrie auch in Mihla fest. Ohne Vorläufer zu haben, war dieser Industriezweig typisch für jene Gebiete, die abseits industrieller Zentren lagen. Hier gab es genügend Arbeitskräfte, die mit wesentlich geringeren Löhnen als in den Industriezentren zufrieden waren. Am 10.7.1864 ließen die Mihlaer Justinius Wiener und Gottfried liiert die erste Zigarrenfabrik in das Handelsregister eintragen. Justinius Wiener sah darin eine Möglichkeit, rasche Gewinne zu machen. Nachdem er bereits 1851 einen wirtschaftlichen Ruin hatte durchmachen müssen, sollte er diesmal auf die richtige Karte gesetzt haben. 1867 übernahm er noch eine Feuerversicherungsagentur im Ort, so dass sein Geschäft bald guten Gewinn abwarf. Heimatgeschichte - Vor 150 Jahren entstanden die ersten Zigarrenfabriken in Mihla

1880 errichtete der Zigarrenmeister Johann Adam Lämmerhirt eine Zigarrenfabrik in der „Darlehenskasse“,

Dem Beispiel der ersten Mihlaer Zigarrenfabrikanten folgten bald weitere. Eisenacher, Treffurter, Mühlhäuser und später auch Firmen aus Kassel und Bremen ließen Zweigfilialen einrichten. 1880 arbeiteten die Firmen H. Eisenhardt (Treffurt) und Fr. Riedel (Mühlhausen) im Ort.  Schon wenig später entstanden weitere Fabriken. Viele Versuche, meist nur mit den Mitgliedern der eigenen Familie begonnen, gingen schon bald wieder ein; einige jedoch hatten Bestand. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges arbeiteten zeitweise bis zu 15 Fabriken unterschiedlichster Größe.

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Filiale der Hamburger Zigarrenfabrik in der Münsterstraße, ehemals Schrader.

Um 1880 entstand auf dem Pfarrmünster die Fabrik der Firma Schrader & Co. Sie entwickelte sich in den nachfolgenden Jahren zur größten Mihlaer Zigarrenfabrik. Der bei Schrader angestellte Zigarrenmeister Johann Adam Lämmerhirt machte sich noch 1880 selbständig und begründete eine eigene kleine Fabrik (Gebäude der „Darlehenskasse"). 1898 richtete der Unternehmer Adler in den Nebengebäuden des Bauernhauses Quehl eine weitere Fabrik ein. Die Gebäude der Fabrik (später Wehrstädt) sind noch heute erhalten.

Weitere Zigarrenfabriken entstanden. So die Fabriken Pook (Karl-Marx-Platz) und Münsterstraße (später Schmidt, Begründer ebenfalls Pook), Trie-bel (die Gebäude sind neben dem Hölzerkopfhaus noch erhalten), Böhnhardt (Reiß), die Firmen Landmann und Brinkmann. Neben den heute noch als Fabrikgebäude genutzten Häusern ehemals Schmidt und Pfarrmünster waren diese Fabriken neben den bereits beschriebenen untergebracht im Gebäude des späteren Konsum-Einkaufszentrums, im Haus Steinhäuser, im heutigen Rentnertreff und im Haus Kirchner.

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Zigarrenfabrik und Verkaufsladen Pook auf dem Karl- Marx- Platz.

Um die Jahrhundertwende hatte das größte Unternehmen, Schrader, bereits über 100 Personen, vor allem Frauen, beschäftigt. Wie sahen die Arbeitsbedingungen aus? Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 55 bis 60 Stunden lag der Verdienst bei durchschnittlich 7 Mark, Frauen verdienten weniger, etwa 5 Mark. Dieser Hungerlohn, der den Fabrikbesitzern großen Verdienst brachte, reichte kaum zum Leben und so wurde sehr oft in Heimarbeit zusätzlich die gesamte Familie beschäftigt. Für einen aufgearbeiteten Tragkorb erhielt man weitere 50 Pfennige.

Zu diesen äußerst harten Lohnbedingungen kamen die schlechten bautechnischen Verhältnisse in den so genannten „Fabriken". Zunächst hatte man in den Anfangsjahren Nebengebäude, vor allem leer stehende Scheunen in den Bauernhöfen, gemietet und notdürftig eingerichtet. Es gab daher kaum sanitäre Einrichtungen, die Räume waren eng und schlecht belüftet und belichtet sowie immer feucht. Schon nach kurzer Zeit machte sich die Tuberkulose unter den Mihlaer Tabakarbeitern breit. Erst in unserem Jahrhundert wurden dann die zum Teil bis heute erhaltenen größeren Fabrikgebäude erbaut. Die Tabakarbeiter wurden von der bäuerlichen Bevölkerung lange Zeit als „Hungerleider" verschrien. Davon kündet auch ein in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von besagtem Justinius Wiener verfasstes 84strophiges Gedicht über Mihla „Mihla ist ein groß Revier ..." Erst in der vorletzten Strophe kommt Wiener auf die Tabakarbeiter zu sprechen und tut dies in dem üblichen verhöhnenden Ton: „Zuletzt sei noch gedacht der Leut, die Zigarren machen allezeit. Mancher, mancher arme Held verdient damit sein schönes Geld ..."

R. lämmerhirt

Mihla,15.03.2011 ?