1945 - Die Geschehnisse nach Kriegsende in Mihla 

Das Ende der Kampfhandlungen und der Einmarsch der US-Streitkräfte in Mihla gegen Mittag des 4. Aprils 1945 hatten für viele Menschen die alte Welt zusammenbrechen lassen. Zum zweiten Mal innerhalb von nur 27 Jahren hatte man das erleben müssen, aber nun schien, verglichen mit 1918, doch alles anders. Fremde Truppen hatten die eigene Armee besiegt und dies auch noch auf eigenem Grund und Boden, erstmals seit vielen Jahren war die Heimat Kriegsschauplatz geworden und hatte viele Opfer bringen müssen. 

Zunächst überwog wohl bei den meisten Mihlaern, die im Verlauf des Tages aus den Wäldern in den Ort zurückkehrten, das Gefühl, einer großen Gefahr entronnen zu sein. Diese Meinung vertiefte sich in den nächsten Tagen weiter, vor allem, als Nachrichten über das Schicksal der Nachbargemeinden eintrafen Creuzburg war durch den fanatischen Widerstand deutscher Einheiten zu beinahe 80 Prozent zerstört, Ütteroda, Spichra und Hörschel hatte es ebenfalls ganz schlimm getroffen. 

In Mihla selbst waren die Brücken gesprengt, viele Schäden an den Gebäuden durch die Detonationswelle und auch durch Artilleriebeschuss eingetreten, das Futterlager am Viehrasen und zwei in der Nähe gelegene Wohngebäude abgebrannt, aber ansonsten hatte es keine weiteren Schäden oder gar Opfer unter der Zivilbevölkerung gegeben. 

Im Lazarett in der Mihlaer Schule lagen am 4. April etwa 20 verwundete deutsche Soldaten, die am nächsten Tag von den Amerikanern in Kriegsgefangenschaft in Richtung Hersfeld abtransportiert wurden. Ebenso ging es den zahlreich in und um Mihla gefangen genommenen deutschen Soldaten, die zunächst in einem provisorischen Lager zwischen Mihla und Lauterbach auf der dortigen Wiese bewacht wurden.


In der Nähe von Hötzelsroda hatten US-Streitkräfte einen Sanitätspunkt errichtet. Hierhin brachten sie auch gefallene deutsche Soldaten, wenn diese nicht auf den Friedhöfen der einzelnen Orte beigesetzt worden waren. So entstand der Soldatenfriedhof Hötzelsroda, auf dem heute über 350 deutsche Soldaten beerdigt sind. Frühe Aufnahme aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. 

Dort mussten sie unter freiem Himmel lagern. Durch die Einwohner von Mihla und Lauterbach wurden Lebensmittel gesammelt und es kamen so viele zusammen, dass am 13. April nach dem Abtransport der Gefangenen noch ein mit Nahrungsmitteln gefüllter Wagen in ein Lazarett nach Eisenach gebracht werden konnte. Das Unternehmen wurde durch die Frau des noch in Kriegsgefangenschaft befindlichen Pfarrers, Frau Hoffmann, organisiert, die beim Deutschen Roten Kreuz als Krankenschwester arbeitete, ein erstes Zeichen von Solidarität, dass man, außer den ständigen Spenden für das Winterhilfswerk, so lange vermisst hatte. 

Die meisten der Gefangenen wurden erst am 12. April auf offene Fahrzeuge verladen und nach Westen abtransportiert. 

Die amerikanischen Kampftruppen, die am 4. April Mihla eingenommen hatten, zogen bereits am gleichen Tag in Richtung Kammerforst weiter. Nachfolgende Infanterieeinheiten waren bereits am 5. April in Mihla. Der Ortskommandant richtete sich im Haus Hellmund in der Eisenacher Straße (heute Wohnhaus Familie Märten) ein. Zeitweise lagen auch im „Roten Schloss“ Stabseinheiten und die Schule wurde mit Soldaten belegt. 

Noch war Krieg und über die Rundfunkempfänger vernahmen die Mihlaer die Meldungen über die Fortsetzung der Kampfhandlungen, die sich noch bis Mitte Mai hinziehen sollten. Wohl recht ungläubig vernahm man die nun so weit entfernt klingenden Wehrmachtsberichte über den fanatischen Kampfwillen der deutschen Truppen und den unbeugsamen Kampfgeist der Naziführung, die bis zuletzt aus den sicheren Bunkern unter der Reichskanzlei Durchhalteparolen und Siegeszuversicht versprühte. Diese Meldungen kamen bei der Mehrzahl der Menschen in unserer Region kaum noch an, verfingen wohl, so Zeugenaussagen, am ehesten in den Hirnen der durch 12 Jahre Naziherrschaft am meisten verblendeten Jugendlichen. 

Hier soll es durchaus einige gegeben haben, die den aus ihrer Sicht schmählichen Zusammenbruch der Verteidigung an der Werralinie als Verrat der Offiziere und Soldaten sahen und die insgeheim einem Gegenschlag entgegenfieberten. Diese Haltung führte dann auch zu den immer wieder in Zeitzeugenberichten genannten Aktionen der "Werwölfe", die aber tatsächlich wohl nicht über einige Gespräche und Absichtserklärungen hinaus- kamen. 

Noch immer fielen Männer aus Mihla in diesem wahnsinnigen Schlusskampf, obwohl in ihrem Heimatort bereits Friede herrschte! Im Kirchenbuch vermerkte Pfarrer Mitzenheim allein für das Jahr 1945 25 Beerdigungen von gefallenen Soldaten, viele Gedenkfeiern sollten noch folgen und zogen sich bis in das Jahr 1947 hin. Das Schicksal der sogenannten „Vermissten“ belastete weitere Familien. Dutzende Männer aus Mihla befanden sich in Kriegsgefangenschaft. Mitunter hatten die Angehörigen seit Monaten keine Nachricht erhalten und waren völlig im Ungewissen über die Zukunft. 


Während in Mihla die Gefallenen auf dem Friedhof beigesetzt wurden tobten noch bis zum 8. Mai heftige Kämpfe und fielen dutzende weitere Mihlaer in den letzten Kriegstagen. Grab des Unteroffiziers König, der im Panzer bei Hahnroda fiel. 

Am 5. und 6. April wurden Luftkämpfe zwischen deutschen und amerikanischen Flugzeugen beobachtet und deutsche Flugzeuge schossen mit Bordwaffen auf amerikanische Fahrzeuge. Am 6. April war nochmals starker Geschützdonner zu vernehmen. Wie sich dann später herausstellte, beschossen die Amerikaner Eisenach, das dann an diesem Tag eingenommen wurde. Einen Tag später durchfuhren viele amerikanische Panzer und andere Fahrzeuge Mihla in Richtung Mühlhausen. An diesem Tag hätte der Krieg nochmals beinahe unser Gebiet erreicht. Bei Struth wurde in einer letzten Schlacht ein deutscher Vorstoß in Richtung Eisenach aufgehalten und unter großen Verlusten für beide Seiten zurückgeworfen („Panzerschlacht bei Struth“). 

Erst ab dem 8. April stellten die amerikanischen Behörden Genehmigungen aus, wieder nach Eisenach gehen zu dürfen (Fahrverbindungen waren nicht vorhanden). 


Die zerstörte Mihlaer Eisenbahnbrücke, hier eine Aufnahme aus den 60er Jahren, als die Reste der Brücke abgebaut wurden. 

In dieser unsicheren Situation der ersten Tage nach Kriegsende, die durch die zahlreich anwesenden Zwangsarbeiter und ehemaligen Kriegsgefangenen, die zunächst ihre Befreiung feierten, noch verstärkt wurde, schlug die Stunde der besonnenen Männer, die an die Gestaltung der Zukunft für ihre Familien und den Heimatort dachten. 

Schon während der letzten Tage der Naziherrschaft hatte es erste Absprachen gegeben. Im Wesentlichen waren es diejenigen beherzten Männer, die am 4. April den Beschuss von Mihla verhindert hatten, die nun auch bereit waren, mit den Amerikanern zusammen zu arbeiten und selbst Verantwortung zu übernehmen. 

Bereits am 1. April gründeten sie einen Antifaschistischen Bund, dessen Ziel nach Aussagen einer Protokollmitschrift darin bestehen sollte, alle nationalsozialistischen und militaristischen Bestrebungen zu bekämpfen. Neben Mitgliedern der früheren demokratischen Parteien, vor allem aus der SPD und auch aus der KPD, vereinten sich in diesen Gremien vor allem jene Kräfte, die den Nazis während der letzten 12 Jahre zumindest innerlich ablehnend gegenübergestanden hatten. 

Aber es waren auch einige Männer darunter, die Mitglied der NSDAP oder der SA waren, aber nun ihre Bereitschaft zeigten, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern etwas für die Zukunft zu tun. Einige von ihnen sahen wohl nun die Chance eines Neubeginns, obwohl für die meisten die Zukunft noch völlig unklar war und es vor allem um die Organisation des nächsten Tages ging. 


Die Segelfliegerschule auf dem Harsberg wurde Anfang April ohne Widerstand von den US-Streitkräften besetzt. Die dort lagernden Vorräte wurden dann durch die US-Kommandantur für die Bevölkerung von Mihla und Lauterbach freigegeben. 

Bürgermeister Paul Lämmerhirt hatte offiziell am 6. April die Amtsgeschäfte niedergelegt. Der amerikanische Ortskommandant hatte ihn zunächst aufgefordert, das Amt weiter zu führen. Doch selbst in seiner Haltung unsicher genügte ein Gespräch mit den neuen politischen Kräften um Karl Eisenträger (ehemals Ortsvorsitzender der SPD), um seinen Rücktritt bekannt zu geben. Am gleichen Tag wurde der geflüchtete Ortsgruppenleiter Albert Streck gemeinsam mit weiteren Angehörigen der National-sozialistischen Führungsschicht in der Jagdhütte am Dachsberg verhaftet und von den Amerikanern nach Westen abtransportiert. 

Am 7. April konstituierte sich eine neue Gemeindeverwaltung, die vom amerikanischen Kommandeur genehmigt wurde. Als amtierender Bürgermeister wurde Karl Eisenträger eingesetzt, Stellvertreter wurde Fritz Berz, Polizeiverwalter wurde Heinrich Böhm, der seine Befähigung als Verantwortlicher für diese wohl wichtigste Thematik am 4. April für alle Mihlaer erlebbar unter Beweis gestellt hatte und dessen Name damals in aller Munde war, sein Stellvertreter Wilhelm Fehr, die meisten von ihnen in den 20er und frühen 30er Jahren in der SPD organisiert. Hinzu kam der Lehrer Walter Baumbach, der aufgrund seiner Englischkenntnisse die Verbindung zu den Amerikanern aufrecht halten sollte. 

Die Aufgaben für die neue Gemeindeverwaltung waren nicht leicht. Zunächst mussten die Forderungen der Besatzungsmacht erfüllt werden: Alle Waffen, Fotoapparate abgeben, Durchsuchungen der Häuser mitorganisieren und über sich ergehen lassen (dabei wurde durch die US-Soldaten kräftig geplündert, vor allem die Konserven in den Kellern wurden sinnlos aufgerissen und so vernichtet) und die Ausgangssperre (von früh sechs Uhr bis abends zwanzig Uhr) durchsetzen. 


Die Mihlaer Schule vor dem Anbau der beiden östlichen Klassenzimmer. In der Schule befand sich bei Kriegsende ein Lazarett, in dem etwa 20 deutsche Soldaten, die meisten waren bei den Kämpfen an der Werralinie verwundet wurden, durch deutsche Sanitäter versorgt wurden. Die US-Streitkräfte übernahmen das Lazarett und die Soldaten wurden abtransportiert. 

Hauptproblem war jedoch die Versorgung der Bevölkerung. Alle normalen Warenlieferungen waren zusammengebrochen, das bedeutete, ein Ort mit etwa 3000 Einwohnern (in Mihla befanden sich Dutzende „Ausgebombte“, Flüchtlinge, Zwangsarbeiter und ehemalige Kriegsgefangene), musste sich selbst versorgen. 

Deshalb wurden alle greifbaren Lebensmittelvorräte beschlagnahmt. Das betraf das ehemalige Versorgungslager zwischen Mihla und Lauterbach, das Futterlager am Viehrasen, aber auch die ehemalige BDM-Führerinnenschule im Roten Schloss und die Segelfliegerschule auf dem Harsberg. Gleichzeitig wurden die Bäckereien aufgefordert, zu backen. Getreide sollten die Bauern liefern, die dazu teilweise unter Zwang gestellt wurden. Schon bald machten Gerüchte die Runde, dass es bei diesen Maßnahmen zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Dies betraf vor allem den Verkauf von 90 Zentnern Schweineschmalz aus dem Lager Mihla/Lauterbach, den Verkauf der Inneneinrichtung des Roten Schlosses für die Gemeinde, die im Wert für viel zu niedrig angesetzt wurde, sowie den Verkauf von insgesamt 45.000 Jutesäcken mit Streu und Heu aus dem Futterlager an Dorfbewohner Anfang Mai 1945. Hier kam es noch zu weiteren Zwischenfällen, da bekannt wurde, dass erhebliche Bestände aus dem Lager am Viehrasen durch die neue Gemeindeverwaltung an zwei ehemalige Wlassowoffiziere verkauft worden waren, die sich mehrere Tage im Wohnhaus des neuen Bürgermeisters aufhielten. 

Die amerikanische Besatzungsmacht verfügte, dass die Gemeinde Mihla das Mobiliar der Fliegerschule Harsberg zu ihren Gunsten verkaufen konnte. Dort wurde der ehemalige Fluglehrer Georg Hoppe als Hilfspolizist eingesetzt, um Plünderungen zu verhindern. 

Gleichwohl gelang es in diesen Tagen, die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Trotzdem war Ende April eine kritische Situation eingetreten, da immer mehr Übergriffe von umherstreifenden Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen bekannt wurden. Vor allem auf die meist zu Fuß zwischen den Dörfern und auf der Straße nach Eisenach unterwegs befindlichen Reisenden machten diese Gruppen, die sich sogar zu Banden zusammenschlossen, regelrecht Jagd. Auch die einzelnen Gehöfte wie der Mihlberg und die Sorga wurden nicht verschont. 

So berichtete Pfarrer Mitzenheim bereits Mitte April davon, dass er auf seinen Fahrten nach Eisenach, er war mit seinem Fahrrad unterwegs, immer große Angst gehabt habe, in die Hände solcher Gruppen zu fallen. Allein das Fahrrad war seiner Meinung nach schon Anlass für einen Angriff. 

Am 2. Mai überfielen mehrere bewaffnete russische Zwangsarbeiter unweit von Mihla an der Straße nach Eisenach zwei deutsche Soldaten, die in Zivilkleidung versuchten, sich in ihre Heimat (Ulm) durchzuschlagen. Beide Soldaten wurden durch Kopfschüsse schwer verletzt. Frau Hoffmann, als Krankenschwester in einem Eisenacher Lazarett tätig, kam zufällig dazu und verband die beiden Soldaten und ließ auch den Arzt Dr. Wiedemann holen. Während sich beide noch um die Schwerverletzten kümmerten, traf ein amerikanisches Fahrzeug ein, auf dem sich auch die russischen Angreifer befanden, ob durch die US-Soldaten verhaftet, war unklar. Auf jeden Fall wurden die Verletzten nochmals ausgeplündert, ehe man sie mit dem Fahrzeug nach Eisenach brachte. Wie Frau Hoffmann später erfuhr, verstarben beide Soldaten, deren Namen unbekannt blieben wenige Tage später. 


Das ehemalige Sägewerk Wüstefeld und Kraft auf dem Viehrasen. Die deutsche Wehrmacht hatte dort ein Futterlager eingerichtet, welches durch die Kampfhandlungen in der Nacht zum 2. April 1945 in Brand geriet. 

Solche Vorfälle lassen auch die amerikanische Besatzungsmacht in einem ungewöhnlichen Licht erscheinen. Auch durch diese häuften sich die Zwischenfälle. So war bereits Mitte April in Berka der bekannte Lehrer Dr. Leo Drescher durch einen schwarzen Amerikaner erschossen worden. 

Drescher hatte als Dolmetscher versucht, die Vergewaltigung eines Mädchens zu verhindern. Vergewaltigungen wurden auch aus Buchenau gemeldet. Offensichtlich sah sich der amerikanische Stab in Mihla zu abschreckenden Maßnahmen gezwungen. Verschiedene Zeitzeugen berichten von einer Erschießung amerikanischer Soldaten, die sich an Plünderungen und Vergewaltigungen beteiligt hatten, im Park des Roten Schlosses. Ob dies tatsächlich so stattgefunden hat oder ob es nicht nur eine Maßnahme zur Beruhigung der Bevölkerung und zur Abschreckung der eigenen Einheiten diente, konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Vermutlich war es eine „Scheinhinrichtung“! 

Rainer Lämmerhirt
- Ortschronist Mihla -