Das Jahr 1923 

Aktuell erleben wir gerade die Schrecknisse einer Inflation. Das war in Deutschland leider schon mehrfach ein Thema. 

Gerade vor 100 Jahren, im „Krisenjahr“ 1923, kam es aus verschiedenen Gründen sogar zur Hyperinflation. Diese blieb in den Menschen dieser Generation als Trauma lange Zeit erhalten.

Was geschah damals, genau vor 100 Jahren? 

Blicken wir in die Mihlaer Ortschronik: 

Die seit Kriegsende sich ständig verstärkende Krise im wirtschaftlichen Bereich erlebte 1923 ihren absoluten Höhepunkt. 

Anfang des Jahres besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die Reparationskommission hatte festgestellt, dass Deutschland mit den Zahlungen aus dem „Friedensvertrag“ von Versailles in Rückstand gekommen war. Das Ruhrgebiet sollte nun als Pfand für diese Zahlungen dienen. 

Die Reichsregierung rief zu passiven Widerstand auf. Letztlich wurde dadurch nichts erreicht, aber die Kosten für den „Ruhrkampf“ trieben die Inflation, die schon seit dem verlorenen Weltkrieg ständig anwuchs, weiter in die Höhe. 

Schon im Frühjahr 1923 blieben die Kohlelieferungen, bis dahin bereits ein schwieriges Problem, gänzlich aus. Die Eisenbahnverbindungen wurden gekürzt. Dadurch verschlechterte sich die Lebenslage gerade für die in Eisenach Beschäftigten ganz erheblich. Die Arbeiter waren bis zu 16 Stunden am Tage unterwegs. Auch die Arbeitslosenzahlen stiegen weiter an.

Die Eisenbahnmeisterei Mihla entließ z. B. 23 Streckenarbeiter und 4 Beamte. Die Zigarrenindustrie ging zur Kurzarbeit über. 

Schon im Sommer 1923 zahlten die Betriebe in Mihla zweimal in der Woche Lohn, im Herbst dann sogar täglich. Alles Geld wurde so schnell wie möglich in Waren umgesetzt, denn schon Stunden später konnte es völlig wertlos sein. 

Am 1. November 1923 kostete 1 Pfund Brot 260 Milliarden Reichsmark, 1 Pfund Zucker 250 Milliarden, 1 Pfund Fleisch 3,2 Billionen und 1 Pfund Butter 3 Billionen! 


Reichsbanknote über Fünfzig Millionen Mark, September 1923, im November dieses Jahres bereits wertlos. 


Notgeldschein aus Eisenach, 1922, aus Mangel gedruckter Geldschein der Serie „bedeutende Persönlichkeiten der Wartburgstadt. 25 Pfennige als Ersatz für fehlende gesetzliche Geldmittel, nur gültig in der Wartburgstadt. 


1919 begann die Gemeinde Mihla den Bau eines Rathauses. Die Inflation verhinderte eine rasche Fertigstellung. Erst 1923 konnten dann Verwaltung und Bürgermeister einziehen, Fotografie von 1986. 

Die mit der Inflation verbundenen Unruhen in den Orten erhöhten sich weiter, nachdem die Reichswehr im Herbst 1923 in Thüringen Manöver durchführte. Der Grund hierfür lag darin, dass der SPD-Ministerpräsident Thüringens, August Fröhlich, am 16. Oktober eine Koalitionsregierung mit dem Kommunisten gebildet hatte. Diese „Arbeiterregierung“ verkündete den Beginn der „Sozialisierung“ und ließ proletarische Hundertschaften einer Volkswehr aufstellen. 

Aus den Manövern der Reichswehr wurde schließlich eine Besetzungsaktion, nachdem die Reichsregierung den Ausnahmezustand aufgrund des Artikels 48 der Reichsverfassung verhängt hatte. 

Die Regierung Fröhlich wurde für abgesetzt erklärt. Der zu erwartende Bürgerkrieg kam nicht, da die Kommunisten letztlich am 12 .11. 1923 ihren Austritt aus der Regierung Fröhlich erklärten und auch der Ministerpräsident „freiwillig“ zurücktrat. Für den Februar 1924 wurden neue Landtagswahlen angesetzt. 

Seit August 1923 lagen Abteilungen der Reiterregimenter Erfurt und Langensalza sowie deren Stäbe in Mihla. Aus den Fenstern des „Grauen Schlosses“, wo sich die Offiziere einquartiert hatten, wehte eine Totenkopfflagge. 

Im Dezember 1923 setzte eine beinahe nicht mehr erwartete Stabilisierung der Verhältnisse ein. Die Rentenmark, vom neuen Reichskanzler Stresemann auf den Weg gebracht, wurde angenommen und die Inflation erlosch. Die Menschen konnten aufatmen, vorerst! 

Rainer Lämmerhirt