Kurs 260° - von Eberhard Hälbig, Eisenach - Teil 2 

Bombenabwurf 1944 bei Nazza. Wie konnte es dazu kommen? 

Hallungen, Nazza, zwei kleine beschauliche Dörfer, ohne kriegsrelevante Ziele. Kriegswichtig war nicht einmal die nächstgrößere Stadt Eisenach, obwohl an diesem Septembertag eines der ausgewählten Ziele der Bomber, die dort ansässigen BMW Flugmotoren Werke an der Rennbahn und am Dürrerhof waren. 

Auch im BOMBER BAEDEKER findet sich kein Hinweis auf irgendeine kriegswichtige Bedeutung für eine gewollte Bombardierung von Hallungen und Nazza. BOMBER BAEDEKER ist eine makabre Umschreibung, in Anlehnung an den bekannten Reiseführer, mit den wichtigsten Bombenzielen in Deutschland aus Sicht der Engländer. 

Nicht aller Engländer. Der BOMBER BAEDEKER war innenpolitischer Sprengstoff im Vereinigten Königreich der vierziger Jahre. Ursache dafür waren die Prioritäten, die man dem „Werk“ zugrunde legte. Die politischen Spannungen sind bereits in der ersten Ausgabe von 1943 zu spüren. Da standen sich zwei Gruppen mit unterschiedlichen Zielen gegenüber. Das Bomber Command, für das Arthur T. Harris bereits am 23. Februar 1942 als „höchste Priorität“ englischer Luftangriffe, Städte mit über 100.000 Einwohnern wünschte und das MEW, das Ministry of Economic Warfare, des „Ministeriums für wirtschaftliche Kriegsführung“, dass die Ziele nach der Wichtigkeit für die deutsche Kriegswirtschaft aussuchte. Harris wollte von Anfang an den „Kriegswillen „der Deutschen brechen, indem er ihre großen Städte – also zivile Ziele – zerstören wollte. Diese Ziele waren in dem Dokument BOMBER COMMAND ATTACK DATA oder kurz „Harris Kartei“ festgeschrieben. 

Er hielt auch nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg, dass es ihn nicht interessierte, welche Ziele MEW für wichtig hielt. MEW ging viel subtiler vor, was aber zur Folge hatte, dass in der ersten Ausgabe des BOMBER BAEDEKER von 1943 nicht weniger als 392 kriegswichtige Ziele in Deutschland aufgeführt wurden, die sich in der zweiten Auflage von 1944 noch auf 518 erhöhte. 

Während jedoch in der ersten Auflage von 1943 auch Eisenach als Bestandteil des sogenannten „Kleinen Ruhrgebiets“ (Leipzig, Chemnitz, Dresden, Gotha, Erfurt, Weimar und Schweinfurt) noch als Ziel der Bomber ausgewiesen war (BMW Werke), fehlte es in der zweiten Auflage von 1944, wie 20 andere Städte auch. 

Eisenach war kriegswirtschaftlich unwichtig. Das amerikanische Gegenstück zu MEW war das „Board of Economic Warfare“ – die „Behörde für wirtschaftliche Kriegsführung“, mit der gleichen Einschätzung in Bezug auf Eisenach. Die Amerikaner wandten sich im Übrigen von Anfang an gegen Flächenbombardierungen großer Städte oder ziviler Ziele. Sie wollten am Tag kriegsrelevante Objekte bombardieren. 

Dies ging freilich nicht immer gut. „Intelligente Bomben“, die weit vom Ziel entfernt abgeworfen werden und sich selbstständig ihr Ziel suchen oder wie es im Pilotenjargon heißt „Fire-and-Forget „abfeuern und vergessen“, gab es noch nicht. Der Bombenabwurf am 11.09.1944 in der Gegend von Hallungen, Nazza und Falken war also ein nicht geplantes Ereignis, ein Kollateralschaden, wie man heute sagt. Für die Opfer wenig tröstend! Wer war es und wie kam es dazu? 

Die Antwort darauf kann man auch nach über 70 Jahren in der RECORD GROUP 18, ENTRY 7, also der Aufzeichnungsgruppe 18, im Eintrag 7 bei der NARA, der NATIONAL ARCHIVES and RECORDS ADMINISTRATION, den amerikanischen Staatsarchiven in Washington finden. Hier findet man alles. Man braucht nur ein wenig Zeit und etwas Geld um fündig zu werden. Es kommen zwei Flugzeuge in Frage, die ihre Bomben auf Hallungen und Nazza abgeworfen haben. Eine Maschine gehörte zur 303.Bombardment Group, mit großem Dreieck als Erkennungszeichen am Leitwerk und einem großen C darin. 


Denkmal der 303.Bombardment Group, mit großem Dreieck als Erkennungszeichen am Leitwerk und einem großen C darin. 


306.Bombardment Group, ebenfalls mit großem Dreieck, aber mit einem H als Erkennungszeichen am Leitwerk. 

Sie war in Molesworth, England stationiert. Die andere gehörte zur 306.Bombardment Group, ebenfalls mit großem Dreieck, aber mit einem H als Erkennungszeichen am Leitwerk.

Sie kam aus Thurleigh in England. Beide Bomb Groups gehörten der 1st Air Division, also der ersten Bomber Division an. Ihr geflogener Kurs an diesem 11. September 1944 im Luftraum bei Eisenach war 260°. 

 

Der genaue Ablauf dieses und weiterer Bombenabwürfe wird in einem neuen Buch über die Bombardierungen von Eisenach, das gerade im Entstehen ist, beschrieben werden. 

-Schluss-