Die Zerschlagung des Rittergutes „Rotes Schloss“ in Mihla

1895 geriet das über Jahrhunderte im Besitz der verschiedenen Familienzweige der Herren von Harstall befindliche Rittergut „Rotes Schloss“ wie so viele andere adlige Rittergüter in große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die herkömmlichen Bewirtschaftungsmethoden von Flur und Wald konnten mit den modernen Praktiken jener Jahre nicht mehr mithalten. Es folgte eine Kette von Eigentumsübertragungen. Der Reihe nach: 

Die Inhaber des Rittergutes des Mihlaer „Roten Schlosses“, welches über umfangreichen Waldbesitz (etwa 300 Hektar) und ebensolche landwirtschaftlich genutzten Flächen und über eine Brauerei und eine Schäferei verfügte, hatten über Jahrzehnte hinweg, ähnlich anderen adligen Rittergütern, den Übergang zu einer modernen und mechanisierten Landwirtschaft verpasst. 

Hinzu kamen immer wieder Erbauseinandersetzungen innerhalb der Familie von Harstall, insbesondere nach dem Tod des letzten alleinigen Eigentümers Franz von Harstall aus der katholischen Diedorfer Linie 1865. 

In schwierigen Prozessen fiel das „Rote Schloss“ aus dieser Erbmasse heraus an den Verwandten Karl von Harstall aus dem „Grauen Schloss“. Erstmalig seit langer Zeit waren beide Mihlaer Schlösser wieder in einer Familiensippe vereint. 


Die wohl älteste bekannte Fotografie des „Roten Schlosses“ aus der Zeit, in der Karl von Harstall Eigentümer des Rittergutes war, um 1880. Der linke Gebäudeteil mit den beiden Einfahrten und dem darüber liegenden Rittersaal wurde mit dem Neubau 1914 unter Binswanger abgerissen. Auf dem Hof sind einige landwirtschaftliche Geräte erkennbar. Das Rittergut lebte vor allem von der Landwirtschaft und dem Forstbetrieb. 

Aber Karl von Harstall verstand wenig von der Landwirtschaft. Immer neue Schulden wurden angehäuft und im Jahre 1898 war es dann soweit: 

Nach einigen vorhergehenden Notverkäufen und der Zwangsversteigerung eines etwa 3 Hektar großen Grundstückes, um die Zahlungsfähigkeit wieder herstellen zu können, musste Baron Karl (II) von Harstall im Februar 1895 Bankrott anmelden. Die Gutswirtschaft war nicht mehr zu halten, zudem resignierte der in Geschäften nicht gewandte Baron. Für den März 1895 wurde zunächst die öffentliche Versteigerung der Grundstücke, insgesamt etwa 564 ha Land und umfangreicher Waldbesitz, festgelegt. 

Die Taxsumme für das gesamte Rittergut betrug 712 340 Mark. Ein erheblicher Teil dieser Summe war durch offene Darlehen belegt. Die zunächst von der Gemeinde geplante Kaufaktion des gesamten Gutes (als Beispiel galten gleiche Vorgänge in Diedorf und Berteroda) kam trotz mehrerer Versuche nicht zustande. Über Mittelsmänner wurde der Gutskomplex bis auf wenige vorher bereits von privater Hand aufgekaufte Grundstücke schließlich an den international bekannten Jenaer Nervenarzt Professor Dr. Binswanger verkauft. 

Binswanger war bemüht, mit einer erheblichen Finanzkraft das ehemalige Gut zusammenzuhalten. Das Schloss diente der Familie fortan als Sommersitz, auch wurden befreundete Familien untergebracht. Eingesetzte Verwalter führten die Wirtschaft. 

Der 1852 geborene Binswanger, aus einer jüdischen Familie stammend, studierte Medizin in Heidelberg, Straßburg und Zürich. Nach seiner Promotion im Jahre 1877 zum Thema Trophische Störungen bei Geisteskranken arbeitete Binswanger an der Klinik seines Vaters Ludwig in Kreuzlingen in der Schweiz, später in Wien, Göttingen und Breslau, bis er 1880 an die Charité nach Berlin versetzt wurde. Dort wirkte er als Oberarzt und habilitierte sich 1882 mit einer Arbeit über Gehirnmissbildungen. 

Für die nächsten Jahre sollte sich der Besitzerwechsel recht günstig auf Mihla auswirken. Mit großer Geschäftstüchtigkeit ließ Binswanger jene Maßnahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsführung durchführen, zu denen der letzte Harstall nicht in der Lage war. Ziegelei, Brauerei, Wirtschaftsgebäude, Straßen und andere Einrichtungen entstanden und sicherten Arbeitsplätze. Für die Dorfbewohner stellte die Zerschlagung des Harstallschen Gutes zweifelsohne das Ende einer langen Entwicklung dar. Immerhin saßen die Barone seit 1581 im „Roten Schloss“. 


Ein ähnlicher Blick auf die Schlossgebäude wie im vorherigen Bild, nur einige Jahre später. Die Plattenfotografie entstand um 1900. Professor Binswanger könnte bereits Eigentümer sein. Der linke Flügel ist noch im alten Zustand erhalten. 


Nochmals ein Blick auf den Zustand vor 1914, Aufnahme um 1900. 

Nachdem er die deutsche Approbation aufgrund seiner außerordentlich wissenschaftlichen Befähigung per Dekret erhalten hatte, bekam er - kaum 30-jährig - 1882 einen Ruf nach Jena als Direktor der Landesheilanstalt und die Stelle als außerordentlicher Professor der Psychiatrischen Universitätsklinik. 1891 wurde er dort zum Ordentlichen Professor für Psychiatrie ernannt und leitete die Psychiatrische Universitätsklinik bis zu seiner Emeritierung am 1. Oktober 1919. 

Zudem wurde Binswanger im April 1911 zum Prorektor der Universität Jena gewählt, bekleidete mehrfach an der Jenaer Universität das Rektorenamt und erhielt den Titel eines Medizinalrates und schließlich auch den des Geheimen Medizinalrates. 

Zu seinen namhaften Patienten zählten Friedrich Nietzsche, Hans Fallada und Johannes R. Becher

Binswanger schuf sich durch sein Wirken einen internationalen Ruf als Psychater. 1917 jedoch begann er den Verkauf des Mihlaer „Roten Schlosses“ voranzutreiben und die Übersiedlung in seine eigentliche Heimat, die Schweiz, vorzubereiten. Dort wollte er seinen Lebensabend verbringen. Er starb auch 1929 in der Schweiz. 


Der aus der Schweiz stammende Professor Dr. Otto Binswanger, 1852 bis 1929, entwickelte sich zu einer international anerkannten Größe in der Jenaer Psychatrie. Dreimal war er Rektor der Universität Jena. Seit 1895 besaß er das „Rote Schloss“ in Mihla und wurde für den Ort durch seine wirtschaftsbelebenden und kulturellen Maßnahmen zur „guten Seele“. 

Ein solch bekannter Mann, eine international anerkannte Koryphäe, ging nun in Mihla ein und aus und verbrachte in der Regel mit seiner Familie die Sommermonate im „Roten Schloss“. 

Insgesamt erwies er sich als Gönner der Gemeinde, indem er im Tiefenbach eine neue Ziegelei errichten ließ (die Markenziegel der Ziegelei „Rotes Schloss“ wurden bald bekannt), im Park des Schlosses ab dem Jahre 1912 eine moderne Brauerei errichtete und auch den Baugrund für die neue Carl-Alexander-Schule 1894 bereitstellte. 

Große Teile der Parkanlagen gehen außerdem auf Binswanger zurück. 

1914 wurde der gesamte linksseitige Schlossflügel, ehemals Wirtschaftsgebäude, zum „neuen Schloss“ umgestaltet, wobei das Fachwerk den alten Gebäuden nachempfunden wurde. 

Auf wenig Verständnis stieß dagegen die Nachricht, dass er Anfang 1917 ohne Absprachen mit der Gemeinde das Rittergut an den westfälischen Gutsherren Ludwig Scharpenseel verkaufte und den Ort noch während des Weltkrieges in Richtung Schweiz verließ. 

Scharpenseel, von den Mihlaern mit vielen Erwartungen begrüßt, verblieb jedoch nur kurze Zeit in Mihla. 

Der damalige Pfarrer Kötschau hatte sich noch kurz zuvor sehr kritisch geäußert, da der neue Rittergutsbesitzer streng katholisch sei. Nun löste sich dieses Problem über Nacht. Schon im Februar des Jahres 1920 war der Besitz erneut verkauft und nun in den Händen eines gewissen Lichtenberg. 

Lichtenberg hatte das Rittergut zum Wert von 1 Million und 450.000 Reichsmark gekauft. Das bedeutet, auch unter Berechnung der inzwischen hohen Inflationsrate hatte Scharpenseel sicher noch ein gutes Geschäft gemacht! Aber der Kauf führte gleich zu einem ersten Streit mit der Gemeinde, denn Lichtenberg ließ sofort erklären, dass er nur bereit sei, 887.000 Reichsmark als anfallende Besitzvermögensabgabe zu zahlen. 


Kirmes 1919: Die erste Kirchweihfeier nach dem furchtbaren Weltkrieg. In freudiger Stimmung aber auch mit viel Erwartungen reitet die Kirmesgesellschaft auf dem Hof des „Roten Schlosses“ vor. Der neue Eigentümer Lichtenberg, von dem man gar nichts weiß, erwartet die Gesellschaft, die von zahlreichen Mihlaern begleitet wird, am Fenster in der 1. Etage. 

Der nun beginnende Rechtstreit zwischen dem Rittergutsbesitzer und der Gemeinde sollte nicht der letzte bleiben. 

Lichtenberg erwies sich als typischer „Güterschlächter“, war nur auf den eigenen Gewinn bedacht, ohne etwas zu investieren. Die umfangreichen Gutswälder wurden rücksichtslos abgeholzt (insgesamt 163 Hektar), 1924 die Brauerei stillgelegt und schließlich verkauft. 

Schon im Juni 1919 wurden von Lichtenberg aus den landwirtschaftlichen Flächen des Rittergutes 280 Acker Land, die bisher verpachtet waren, zum Verkauf ausgeschrieben. Der Verkauf erfolgte in einer öffentlichen Versteigerung. Dadurch verloren die meisten Pächter ihre bisherige Nutzfläche. 

Nach dem Willen der Gemeinde sollten daher vor allem Kriegsbeschädigte und Kriegsteilnehmer bevorzugt Land erhalten. Weiterhin legte der Gemeinderat fest, wenn als Gewinn über 420.000 Reichsmark (diese Summe hatte Lichtenberg zur Deckung seines Kredits für den Kauf des Gutes angegeben) einkommen sollten, dass diese Gelder der Gemeinde zu gemeinnützigen Zwecken zur Verfügung gestellt würden. Es blieb bei diesem frommen Wunsch der Gemeindeväter. Zwar nutzen viele Mihlaer das Angebot des Kaufes von ehemaligen Pachtland und machten, wie Pfarrer Kötschau schrieb, „... sich auf eigener Scholle selbständig...“ („Heimatglocken“ vom Juli 1919). Die erhoffte Gesamtsumme des Verkaufes kam allerdings nicht zustande. Daher verweigerte Lichtenberg die Zahlung der Verkaufssteuer an die Gemeinde. Insgesamt gelangten 1919 70 Hektar in den Besitz Mihlaer Bauern. 

Im Februar 1920 beginnt in den Lichtenbergschen Wäldern ein großer Holzeinschlag. Ununterbrochen rollen die Holzfuhrwerke zum Mihlaer Bahnhof und zum Sägewerk von Wüstefeld und Kraft am Viehrasen. 

Lichtenberg hat innerhalb eines Jahres bedeutende Teile des ehemaligen „Roten Schlossgutes“ zu Geld gemacht ohne dabei seine Schulden aus früheren Jahren decken zu können. Um die Rechtsstreite mit der Gemeinde zu beenden „schenkt“ Lichtenberg dieser 600 ha Acker Buchenbestand und überweist ihr 400.000 Reichsmark als Anteil für die bisher geforderte Vermögensabgabe. Durch die Inflation liegt die Summe allerdings weit unter den eigentlichen Forderungen der Gemeinde. 

Das Jahr 1920 bringt eine weitere schlechte Nachricht, die sich rasch im Ort herumspricht: Das Lichtenbergsche Grundstück ist mit Schulden in Höhe von 1,5 Millionen RM belastet.

Die Wirtschaftskrise der Jahre 1922 und 1923 und vor allem die Superinflation von 1923 sorgen dann für den Rest. 

Im März 1924 musste die Brauerei „Rotes Schloss“, Anteile des Braurechtes waren von Lichtenberg ohnehin schon an eine Wanfrieder Brauerei verkauft, ihre Produktion einstellen. Das noch genehmigte Braukontingent wurde an die Aktienbrauerei nach Eisenach verkauft. Auch die noch recht neue Braueinrichtung im Cuxhof wurde zu Geld gemacht. Damit erloscht das uralte (seit dem Jahre 1533 nachgewiesene) Braurecht in Mihla. 

Ende des Jahres 1926 verdichteten sich die Nachrichten, dass der Rittergutsbesitzer Lichtenberg den restlichen Besitz verkaufen wolle und beabsichtigt, aus Mihla wegzuziehen. Das geschah dann tatsächlich im Dezember des gleichen Jahres. 


Werbeplakat der Brauerei „Rotes Schloss“ Mihla. Das Plakat entstand vor dem Neubau des Brauereigebäudes im Cuxhofpark, aber schon zur Binswangerschen Zeit. Die Brauerei war im Gebäude links neben der Torfahrt untergebracht. Die Zeichnung auf dem Plakat ist die einzig bekannte Ansicht dieses Teiles der Schlossgebäude, die 1936 wegen der Verbreiterung der Landesstraße abgerissen wurden. 

Bereits im Januar 1927 zog mit dem Landwirt August Siekmann ein neuer Eigentümer ins „Rote Schloss“ ein. 

Siekmanns Partner Heinrich Specht aus Hersfeld war als Kaufmann tätig. Neben der Bewirtschaftung der noch verbliebenen landwirtschaftlichen Flächen wollten sie die Ziegelei im Tiefenbach, deren Produktion seit Jahren stark gedrosselt ist, erhöhen. Specht gründete ein Fuhrunternehmen, betrieb LKW-Verkehr und war einer der ersten Unternehmer, die sich dem Überlandbusverkehr widmeten. 

So richtete er 1927 eine erste Buslinie zwischen Eisenach und Mühlhausen ein, wozu an der Einfahrt des Schlosses die erste Tanksäule in der Region aufgestellt wurde. 

Am 16. Dezember 1927 wurde die Autobuslinie feierlich eröffnet. An der ersten Fahrt nahmen offizielle Vertreter, die Presse sowie die Bürgermeister von Mihla (Heinrich Märten, SPD), Neukirchen und Nazza teil. Im Hotel „Kaiserhof“ in Mühlhausen fand die Festveranstaltung statt, auf der Rentmeister Cnyriem aus Mihla die Festrede hielt. Eingesetzt wurden Dixi-Busse von 35 Tonnen und 45 PS Leistung. 22 Sitzplätze waren vorhanden, die Fahrt von Eisenach nach Mihla kostet 3,50 RM. Als Fahrer hatte die Firma die Herren Krause und Biermann aus Mihla eingestellt. 


Gruppenfoto während der Eröffnungsfahrt der Buslinie Eisenach-Mühlhausen mit den Teilnehmern auf der Passhöhe der „Struppeiche“, Dezember 1927. 

Trotz dieser erfreulichen Zuwendung zur Moderne kam das Rittergut „Rotes Schloss“ auch unter Leitung von Siekmann und Specht bald in eine enorme Schieflage. 

1930 musste die Firma Konkurs anmelden. Das „Rote Schloss“ wurde zwangsverwaltet. In dieser Zeit erfolgte die Verpachtung der meisten Schlossgebäude an verschiedene Einrichtungen des Nazistaates. 

Seit 1934 nutzten nationalsozialistische Organisationen die Schlossgebäude. Zunächst war eine SS-Führerschule darin untergebracht, 1935 diente es als Unterkunft für geflohene österreichische Nazis. Wenig später zeigte sich der Reichsarbeitsdienst an den Gebäuden interessiert und signalisierte sogar einen möglichen Kauf. 

Die Ziegelei im Tiefenbach wurde an den aus Bad Gandersheim stammenden Ziegelbrenner und Kaufmann Franz Wilhelm Hülsebosch verpachtet. 

Es gelang jedoch nicht, die aufgelaufene Schuldenlast wesentlich zu verringern. Daher kam es 1936 zur Zwangsversteigerung. 


Blick auf das von Professor Binswanger noch vor dem 1. Weltkrieg errichtete neue Brauereigebäude im Cuxhofpark. Der „Güterschlächter“ Lichtenberg verkaufte die Braurechte 1924 an die Eisenacher Brauerei. Heute befinden sich an dieser Stelle die Gebäude der Firma Fresenius/Cabi. 


Bierdeckel der Brauerei „Rotes Schloss“ Mihla. 

Im März 1936 fand die öffentliche Zwangsversteigerung statt. Landrat a. D. Gläser leitete das Verfahren. Den Zuschlag bekam der frühere Inhaber des Gutes Ohlhoff in Bergen bei Celle im Braunschweiger Land, der Landwirt Rudolf Ohlhoff. Maßgeblich für den Zuschlag an Ohlhoff war wohl, dass er im Besitz eines „Reichsumsiedlungsscheines“ war, nachdem er sein Gut Ohlhoff an die dortige Militärverwaltung verkaufen musste. Das Gut Ohlhoff wurde damals zum Bestandteil des neuangelegten Truppenübungsplatzes Bergen/Belsen. 

Ohlhoff kaufte alle noch vorhandenen Bestandteile des Mihlaer Rittergutes für 300.000 Reichsmark. Dabei bekam er von Landrat a. D. Gläser mit auf den Weg, das schon schwer angeschlagene Gut möglichst zusammenzuhalten.           

Dies scheint allerdings niemals die Absicht des neuen Eigentümers gewesen zu sein. Vielmehr begann Ohlhoff noch im Kaufjahr erste Bestandteile des Rittergutes weiter zu veräußern. Dies sollte, so seine Aussage gegenüber dem Notar Dietrich in Eisenach, zur Finanzierung des Kaufpreises geschehen. 

Im Juli 1936 erwarb die Fliegerlandesgruppe 11 Thüringen über 5 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche in der Nähe der Ziegelei im Tiefenbach für 20.700 Reichsmark. Die Verhandlungen über die Höhe des Kaufpreises zogen sich einige Monate hin. Immerhin lag der Grundstückspreis etwa 100 Prozent über dem Kaufpreis, den Ohlhoff bei der Versteigerung für diese Flächen gezahlt hatte. Der damalige Mihlaer Bürgermeister Paul Lämmerhirt erklärte in einem Schreiben vom 9. März 1938 an den Thüringer Wirtschaftsminister, dass der Kauf schließlich nur deshalb genehmigt wurde, weil es sich bei den Mihlaer Flächen um Austauschflächen handelte, die gegen „…wehrtechnisch benötigte Flächen in der Lauterbacher Flur…“ benötigt würden. Hier schritt letztlich der Nazistaat direkt ein, um in den Besitz von Grundstücken zu kommen, die für den weiteren Ausbau der Fliegerschule auf dem Harsberg benötigt wurden. Aber bei diesem Verkauf blieb es nicht. 

Zunächst zwang Ohlhoff die Mihlaer Pächter von Landwirtschaftsflächen, meist kleinere und mittlere Bauernwirtschaften, durch den Einsatz des Sondershäuser Grundstücksmaklers Döring (dieser hatte Ohlhoff bereits beim Erwerb des Rittergutes „Rotes Schloss“ hilfreich zur Seite gestanden) überteuerte neue Pachtverträge anzunehmen. Wie hierzu Bürgermeister Lämmerhirt schreibt, waren die Methoden bis zur Unterschriftsleistung der Pächter auch aus Sicht der Naziführung unzulässig. Lämmerhirt schildert eine Mischung aus Bestechung, Druck, Überredung und Bevorteilung. 

Im August 1937 verkaufte Ohlhoff des Vorwerk Wernershausen mit seinen Zugehörigkeiten an den Düsseldorfer Geschäftsmann Wilhelm Bahner und dessen Ehefrau Hedwig für 75.000 Reichsmark. Damit ging ein seit vielen Jahrhunderten zum „Roten Schloss“ gehöriges Vorwerk mit Herrenhaus, Wirtschaftshof und Katenwohnungen einschließlich der zugehörigen landwirtschaftlichen Nutzfläche und des Waldes für immer verloren. 

Für den kleinen Ort Wernershausen war es allerdings ein Gewinn. 

1937 kaufte der Landwirt Wilhelm Bahner das frühere Vorwerk Wernershausen aus der Konkursmasse des „Roten Schlosses“. 

Als Naturfreund sanierte er die landschaftlich schön gelegenen Gebäude und intensivierte den landwirtschaftlichen Betrieb, der erstmals Gewinne abwarf. Wilhelm Bahner verliebte sich regelrecht in seinen neuen Besitz. 


Wilhelm Bahner, er kaufte 1937 das ehemalige Vorwerk Wernershausen aus dem Bestand des Rittergutes „Rotes Schloss“. Sein Schwiegersohn und Erbe Peter Bröcher entwickelte nach der Rückübertragung ein Erlebniszentrum im Hainich. 

Die Enteignung der Gutsbesitzer in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone 1946 brachte ihn aber um seinen Besitz, er wurde enteignet, nach seinem Tod wurde 1947 am Waldrand ein Gedenkstein für ihn errichtet. „Bahners Grab“ hat sich bis heute erhalten und wird durch die Familie Bröcher, dem Schwiegersohn und Erben des Vorwerkes, gepflegt. 

Nach der Wende erhielt die Erbengemeinschaft Bahner den inzwischen stark verfallenen Gutshof zurück. Mit viel persönlichem Engagement und finanziellen Einsatz durch Herrn Peter Bröcher wurde die Sanierung der Gebäude in den letzten Jahren abgeschlossen. 


„Bahners Grab“ unweit von Wernershausen ist inzwischen zu einem Flurnamen geworden. 

Inzwischen ist mit den Ferienwohnungen „Gutshof Bahner“ ein richtiges Kleinod mitten im Hainich entstanden, wofür die Erbengemeinschaft Bahner 2011 mit dem Denkmalpreis des Wartburgkreises geehrt wurde. 2013 konnte eine „Eventscheune“ in einem ehemaligen Nebengebäude eingerichtet werden, in dem nun Konzerte, Familienfeiern und Kongresse durchgeführt werden. Ein Bild von Wilhelm Bahner ist dort an bestem Platze zu sehen, welches alle Besucher, die danach fragen, daran erinnert, wie aus dem durch Güterschlächterei betriebenen Verkauf eine Erfolgsgeschichte wurde. 


Das Herrenhaus des Vorwerkes Wernershausen nach Abschluss der Arbeiten im Jahre 2012, nun als Ferienkomplex ausgebaut. 

Nach dem Verkauf des Vorwerkes Wernershausen ging der Ausverkauf der Zugehörigkeiten des Rittergutes weiter. Noch im November 1937 wurde ein Areal an der „Unteren Landwehr“ an einen Ebenshäuser Bauern verkauft, ein Tag später folgte der Notarvertrag über die Ziegelei im Tiefenbach. Hier hatte der bisherige Pächter Franz Wilhelm Hülsebosch aus Bad Gandersheim die staatliche Auflage erhalten, nach dem Erwerb der Dampfziegelei und der zugehörigen Grundstücke einen ständigen Produktionsbetrieb aufzubauen. Bisher war die Ziegelei offensichtlich nur sporadisch bei eingehenden Aufträgen in Betrieb. 

Streit gab es allerdings wegen dieses Verkaufes auch mit der Gemeinde, denn Ohlhoff verkaufte an den Ziegeleibesitzer auch etliche Grundstücke, die dieser als Vorhaltefläche für Lehmgewinnung ansah. 

Auch im Fall der Mihlaer Ziegelei, die weiterhin ihre überall hinsichtlich der Qualität gerühmten Dachziegel unter dem Logo „Rotes Schloss“ verkaufte, wurde eine Verbesserung der Situation erreicht. Ende 1938 beschäftigte Hülschebosch bereits 25 Arbeiter. 

Der Streit mit der Gemeinde betraf jedoch nicht nur die Grundstücke in der Mihlaer Flur, die Ohlhoff gleich mitverkaufte, sondern auch die sogenannte Wertzuwachssteuer, die der Gemeinde zustand, und die aus Sicht des Bürgermeisters Paul Lämmerhirt Ohlhof umging, indem er die Kaufsumme von 80.000 Reichsmark in Grundstückswerte und Maschinen und Inventar aufteilte. Obwohl der Mihlaer Bürgermeister dies ausdrücklich in seinem Schreiben vom März 1938 an den Thüringer Wirtschaftsminister herausstellte, wurde nichts zugunsten der Gemeinde entschieden. Die Gründe hierfür werden klar, wenn man berücksichtigt, dass Ohlhoff zur gleichen Zeit mit den staatlichen Instanzen über den Verkauf der Gebäude des „Roten Schlosses“ verhandelte. 

Die Schlossgebäude waren bereits mehrfach an Institutionen des NS-Staates verpachtet worden. Schon in der Zeit der Zwangsverwaltung des Rittergutes hatten im Februar 1934 staatliche Stellen und die Gemeinde mit der Stabsführung der SA/SS verhandelt. Den SS- Offizieren ging es darum, die Gebäude für die Einrichtung einer Sportführerschule zu nutzen.

Noch im Februar 1934 hatte ein Major Biedermann aus Mühlhausen das Schloss besichtigt, um die baulichen Möglichkeiten zu prüfen. Am 21. 2.1934 war der Obergruppenführer der SS, Freiherr von Eberlein, in Mihla, um das Gebäude zu inspizieren. Nach einigen kleineren Umbauten, an denen auch die Gemeinde finanziell beteiligt war, zog die SS-Sportführerschule im April 1934 im „Roten Schloss“ ein. 

Allerdings ging diese Verpachtung schief, denn ständige Auseinandersetzungen zwischen den SS-Leuten und der Einwohnerschaft, die im Juli 1934 sogar zu handfesten Schlägereien mit Todesfolgen in Creuzburg führten, beendeten die Existenz dieser Schule in Mihla schon Ende 1934. 

Nachdem die Gebäude längere Zeit leer standen, wurde wiederum im Rahmen der Zwangsverwaltung im Spätsommer 1935 das „Rote Schloss“ Exilpunkt und Unterkunft für nach dem Dollfuß-Putsch in Österreich geflohener Nazis. Auch dies war jedoch keine dauerhafte Lösung, die letzten Österreicher verließen Ende 1935 das Schloss. 

Danach wurde eine Nutzung durch den Reichsarbeitsdienst, wiederum über Pacht, in die Wege geleitet. Der RAD betrieb bereits seit längerer Zeit im benachbarten Lauterbach ein Arbeitsdienstlager. Im Mihlaer „Roten Schloss“ sollte nun eine Führerinnenschule des Bezirks Thüringen für den weiblichen Arbeitsdienst einziehen.  

Anfang April 1937 traf das Vorauskommando des Reichsarbeitsdienstes im Mihlaer „Roten Schloss“ ein. Es sollte die Belegung der Gebäude vorbereiten. Die Forderung wurde aufgemacht, dass die Gemeinde für den RAD als Vermieter auftreten müsse. Der Gemeinderat beschloss daraufhin den Entwurf eines Mietvertrages mit dem neuen Eigentümer Olhoff, nachdem die Gemeinde zunächst für 5 Jahre als Pächter der Gebäude auftreten sollte. Monatlich sollten danach Ohlhoff 200 Reichsmark gezahlt werden, bei Mitnutzung des Schlossparkes sollte sich die Pachtzahlung um weitere 500 Reichsmark jährlich erhöhen. 

Der RAD ließ an der Straßenfront größere Umbauten vorzunehmen und auch den Torbereich neu gestalten. Gleichzeitig begann der Abriss von Stall- und Scheunengebäuden und der Bau einer modernen Turnhalle. In den Seitenflügel wurden Unterkünfte für die Mädchen der Schule errichtet. 

Noch während die Umbauarbeiten liefen, die Führerinnenschule 5 des Gaus Thüringen wurde Ende 1937 offiziell eröffnet (die Leiterin, eine Frau Schmaus, bildet mit 20 Kräften des Stammpersonals in einem ersten Lehrgang 65 Mädchen aus ganz Deutschland als Führerinnen des weiblichen Arbeitsdienstes aus), bot Ohlhoff dem RAD Verhandlungen über den Verkauf der Schlossgebäude an. 

Diese Verhandlungen führten dazu, dass die Reichsleitung des RAD die Schlossgebäude sowie einen Teil des Parkes ohne dessen südlichen Teil mit der den Brauereigebäuden für 60.000 Reichsmark noch im Jahre 1938 kaufte. 

Damit waren bis auf einige wenige Ländereien und das Areal der Cuxhofbrauerei alle Bestände des ehemaligen Rittergutes „Rotes Schloss“ von Olhoff veräußert worden. 

Der Mihlaer Bürgermeister Paul Lämmerhirt beschwerte sich gemeinsam mit dem kommissarischen Landrat des Kreisamtes Eisenach beim Wirtschaftsministerium in Weimar und listete den Verkaufsgewinn des Herrn Ohlhoff auf. Bis auf 61.000 Reichsmark für März 1938 wurden so Einnahmen in Höhe von 238.000 Reichsmark erzielt. 

Bei Annahme des aktuellen Preises für die verbleibenden Grundstücke der Brauerei und weiterer 83.000 Reichsmark für die noch im Besitz von Ohlhoff befindlichen Waldgrundstücke sowie von weiteren 61.000 Reichsmark für das Artland errechneten Landrat und Bürgermeister einen Zugewinn von über 100.000 Reichsmark. 

Letztlich unterstellte man Ohlhoff, der vom Bürgermeister hinsichtlich „… seiner politischen Gesinnung als sehr zweifelhaft…“ eingeschätzt wurde, Steuerhinterziehung und Güterschlächterei. 

Über Maßnahmen gegen seine Person ist nichts bekannt, gleichwohl gelang es Rudolf Ohlhoff Anfang 1940 die ehemalige Cuxhofbrauerei nebst Grundstücken an das Metallwerk Schwarz in Eisenach zu verkaufen. 

Diesem Verkauf wurde wohl auch deshalb von staatlicher Stelle zugestimmt, da die Firma Schwarz alsbald als Betrieb der Rüstungsindustrie kriegswichtige Produkte in Mihla herstellte.

Ohlhoff selbst hielt sich zu dieser Zeit kaum noch in Mihla auf. Er hatte inzwischen in Bremen eine leitende Stelle in einer anderen Firma übernommen. 

Der 2. Weltkrieg setzte dann einen Schlusspunkt über die Besitzverhältnisse des ehemaligen Rittergutes.

Im März 1945 flohen die letzten Ausbilderinnen der Führerinnenschule. Als sich die US-Truppen Mihla näherten bezog der Kampfkommandant Oberleutnant Walborn im Schloss Stellung. 

Am 3. April genehmigte er für die Bevölkerung die Öffnung der Vorratskammern im Schloss, einen Tag später waren die US-Soldaten im Ort und bezogen in den Schlossgebäuden ihr Quartier. Einige schießwütige Soldaten eröffneten Zielfeuer auf die über dem Hauptportal befindliche Gründerfigur, wahrscheinlich eine Abbildung des Hans David von Harstall, und zerstörten sie. Seitdem gibt es an dieser Stelle eine gähnende Leere.


Ansichtskarte um 1940. Sie zeigt die Gebäude des „Roten Schlosses“ unter Nutzung als Führerinnenschule des weiblichen Arbeitsdienstes. Die Aufnahme entstand allerdings vor 1937, denn in diesem Jahr wurden die rechten Nebengebäude wegen der Verbreiterung der Straße abgerissen. 


Blick in die mittlere Diele, Aufnahme um 1920. 

Im Juli 1945 waren die ersten Soldaten der sowjetischen Roten Armee in Mihla. Auch sie nutzten die Schlossgebäude als Kommandostelle und Quartiere. Dazu kamen auch die im Schlosspark aufgestellten Baracken, die dort für Vertriebene errichtet worden waren und in die neben mehreren Familien, die aus den Ostgebieten geflüchtet waren, bald Angehörige der Deutschen Grenzpolizei einrückten. 

Auch die Eigentumsfrage der Reste des ehemaligen Rittergutes wurden bald geklärt. 

Am 18. Januar 1946 stellte der durch die Sowjets ins Leben gerufene „Antifa-Ausschuss“ eine Liste jener Grund- und Betriebsbesitze in Mihla auf, deren Eigentümer aufgrund ihrer Nähe zu den Nazis entsprechend den Befehlen 124 und 126 der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) enteignet und in Volkseigentum zu überführen seien. Darunter wurden u. a. aufgezählt das „Rote Schloss“, die Ziegelei Hülsebosch, das Vorwerk Wernershausen und der „Cuxhof“, die Gebäude und Grundstücke der Fabrik Schwarz. Der Wunsch der Mitglieder des Ausschusses, das „Rote Schloss“ in das Eigentum der Gemeinde zu übertragen, erfüllte sich jedoch nicht. Das Gesetz vom 24. Juli 1946 der SMAD regelte abschließend. Das „Rote Schloss“ kam in staatliche Verwaltung, dann in das Eigentum des entstehenden Landkreises, die Ziegelei und das Vorwerk Wernershausen wurden ebenso wie die alte Brauerei „Volkseigentum“ und für die Gemeinde verblieben lediglich einige Grundstücke im Schlosspark und an anderen Stellen in der Mihlaer Flur. 

Damit war die Zerschlagung des Rittergutes „Rotes Schloss“ in Mihla beendet. 

Lange Zeit suchte man eine Nutzung für die Schlossgebäude. Ende der 40er Jahre wurden Listen aufgestellt, in denen die Schlösser und Herrenhäuer aufgelistet wurden, die für den Abriss freizugeben seien. Darunter taucht auch das „Rote Schloss“ auf. Der sich aus der Sowjetischen Besatzungszone entwickelnde DDR-Staat hatte wenig Interesse, die „…Hinterlassenschaften der historisch überlebten Adelsfamilien…“ zu erhalten. Wodurch das „Rote Schloss“ letztlich gerettet wurde, ist nicht bekannt. Immerhin fand man dann neue Nutzungsmöglichkeiten.

Ferienlager, Gemeindeverwaltung, alles das erlebten die Gebäude, ehe dann 1952 ein Alten- und Pflegeheim heimisch wurde und bis lange in die Zeit der „Wende“ so genutzt wurde. Bauliche Veränderungen zerstörten dabei viel von der historischen Bausubstanz, aber die Gebäude wurden letztlich erhalten und unterhalten. 

Nun steht das Rote Schloss schon viele Jahre leer und der Verfall schreitet rasch voran. Ein Förderverein versucht dagegen zu halten… 

Wernershausen kam, wie bereits geschildert, wieder an die Erben des Neueigentümers Bahner zurück, was zu einem neuen Leben im ehemaligen Vorwerk führte. 

Die Dampfziegelei im Tiefenbach ist schon lange abgerissen und das ehemalige Wohnhaus verfällt. 

Der Cuxhof, in dem sich zu DDR-Zeiten ein Zweigbetrieb der Uhrenwerke Ruhla mit einer umfangreichen Weckerproduktion einrichtete, wurde durch die Treuhand als ehemaliges Volkseigentum an eine Hersfelder Medizinfirma verkauft und ist heute im Besitz eines neuen Eigentümers, Fresenius, der dort eine moderne Produktionsstätte errichtet hat. Die Gemeinde hat auf ihren Grundstücken im Cuxhofpark eine Kindertagesstätte errichtet und betreibt diese erfolgreich über einen Träger. 

In einem weiteren Teil des Parks ist ein Seniorenheim entstanden, gewissermaßen als Weiterführung des Altenheimes im „Roten Schloss“. 

So ist bis heute kaum noch etwas von der einstigen Größe des Rittergutes zu erahnen. 

 
Die Schlossgebäude 1976