Mihlaer Jahreschronik

Das Jahr 1921
 
 
Im Jahre 1921 setzte sich die durch den verlorenen Krieg und die Bedingungen des Versailler Vertrages verschärfte Wirtschaftskrise weiter fort. Die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter stieg an, besonders die in Mihla so verbreitete Zigarrenindustrie wurde erfaßt.
 
Am Anfang des Jahres standen die Auseinandersetzungen mit der Überlandzentrale Mühlhausen um die Höhe der Strompreise. Sie erreichten ein solches Ausmaß, daß die Zeitungen von einer "Mihlaer Revolte" schrieben. Erst nach zähen Verhandlungen konnte ein Kompromiß erzielt werden, der durch die Inflation allerdings bald wieder zunichte war.
 
Die politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik stabilisierten sich nur langsam. Die Landtagswahlen in Thüringen brachten 1921 der KPD 6 Abgeordnetenmandate, die SPD konnte ihre Wählerbasis weiter ausbauen.
 
In Mihla führte das Kirmesfest zu einem ganz besonderen Eklat: Der schon lange schwelende Streit zwischen Bauern- und Arbeitersöhnen entlud sich darin, daß es in diesem Jahr vier Husaren gab...
 

Januar:
 
- Anfang des Monats findet die bereits angekündigte Bürgerversammlung in der "Goldenen Aue" statt. Es geht um die Mihlaer Strompreise. Die Einwohner weigern sich, die erneute Erhöhung zu bezahlen. Die Überlandzentrale droht schließlich, über den ganzen Ort eine Stromsperre zu verhängen, wenn nicht gezahlt wird.
 
Da die Bürgerversammlung keinen Beschluß fassen kann, erlischt in Mihla am 5. Januar das elektrische Licht.
ImDorf spricht sich herum, daß im Gasthof "Zum Schwan" zwei Angestellte der Überlandzentrale Quartier genommen haben. Eine erregte Menschenmenge findet sich daraufhin vor dem "Schwan" ein. In Wirklichkeit sind dort zwei Kriminalbeamte aus Mühlhausen abgestiegen. Die beiden Beamten werden schließlich ernsthaft bedroht und müssen ihre Waffen ziehen. Im letzten Moment, bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt, kann der Irrtum aufgeklärt werden
 
Am gleichen Nachmittag kommt es auf einem Feld am Lienigzu einem weiteren schweren Zwischenfall. Der beim Rittergutsbesitzer Lichtenberg angestellte Verwalter Krüger ist auf der Jagd und wird nach einem Streit von zwei Mihlaern tätlich angegriffen. Er kann sich seiner Haut nur erwehren, indem er einen Schreckschuß mit dem Jagdgewehr abgibt. Nach diesem Vorfall kommt es zu erregten Auftritten der Mihlaer auf dem Hof des Roten Schlosses. Dabei kommt die ganze Wut vieler Mihlaer gegen Herrn Lichtenberg zum Ausbruch. Schließlich muß der Gendarm Preuß eingreifen. Die zwei "Rädelsführer", die Brüder Nowatzky, werden verhaftet und nach Eisenach gebracht.
 
Tagelang berichten die Eisenacher Zeitungen über die "Revolten" in Mihla.
- Am 13. Januar wird die Stromsperre wieder aufgehoben, nachdem sich der Besitzer der Werramühle, Herr Trabert, in die Verhandlungen eingeschaltet hat.
 
- Auf dem Saal der "Goldenen Aue" findet ein Konzert der Kapelle des 2. Bataillons des Reichswehrinfanterieregimentes 15 statt.
 
- Die Verkehrsverhältnisse auf derEisenbahnstrecke Eisenach - Mihla sind sehr schlecht und werden ständig kritisiert. In Wartha ergaben sich durch das Umsteigen lange Wartezeiten. Die Lokomotiven sind meist veraltet und immer öfter fehlt es an Kohle. Die Verbitterung der in Eisenachbeschäftigten Arbeiter, die beinahe jeden Tag zu spät zur Arbeit kommen, ist sehr groß.
 
- Ende des Monats kommt es zu erneuten Verhandlungen zwischen der Gemeinde und der Überlandzentrale Mühlhausen. Die Gemeinde stimmt schließlich einer Erhöhungdes Werrawehres zu, um durch mehr Druck auf den Turbinen mehr Strom zu erzeugen. Mihla soll zukünftig allein durch das Mihlaer Wasserkraftwerk versorgt werden. Unklar bleiben noch die endgültigen Strompreise.
 
Februar:
 
- In den LichtenbergschenWäldern beginnt ein erneuter großer Holzeinschlag.
 
- In Mihla wird eine Ortsgruppe der "Liga zum Schutz der deutschen Kultur" gegründet. 48 Mitglieder schreiben sich ein. Vorsitzender dieser rechtsgerichteten Organisation, die sich vor allem mit "deutschem Kulturgut in den besetzten Gebieten" beschäftigt, wird Lehrer Arnold.
 

März:
 
- Die Gemeinde erhält von der Aufsichtsbehörde die Genehmigung, ein Darlehen in Höhe von 120.000 Reichsmark aufzunehmen, um das 1919 begonnene Rathaus inder "oberen Schäferei" fertigzustellen. Ursprünglich wollte die Gemeinde das Geld durch verstärkten Holzeinschlag aus den Gemeindewäldern erwirtschaften, dies wurde durch die Aufsichtsbehörde untersagt.
Neben den Dienstzimmern und einem Sitzungssaalsoll das Rathaus auch eine Beamtenwohnung für den Bürgermeister erhalten.
 
- Der Streit mit der Überlandzentrale wird beigelegt. Folgender Kompromiß wurde ausgehandelt:
Bis zum 1. Januar 1922 wird ein Einheitspreis von 3,50 RM je Kilowattstunde gezahlt, danach erfolgt eine Senkung auf 3 RM.
 
- Das Sägewerk Wüstefeld hat seine Produktion nach Mihla verlagert. Das durch eine Dampfmaschine betriebene Gatter arbeitet bereits. Es entstehen noch einige Wohnhäuser, so daß, wie die Zeitungen vermelden, eine neue "Wohnkolonie" an der Bahnhofstraße entsteht. Vom Bahnhof aus wird eine neue Chaussee gebaut. Das Anlagekapital der Firma wird auf mehrere Millionen Reichsmark geschätzt.
 
April/Mai:
 
Die seit zwei Jahren verkehrende Fahrpost Eisenach- Neukirchen- Berka soll aufgehoben werden. An ihre Stelle tritt eine Postomnibuslinie von Mihla nach Berka.
- Um die beständige Wasserknappheit in Mihla zu beseitigen, beschließt der Gemeinderat, das mit Lauterbach bereits vorbereitete Vorhabenzur Erweiterung des Wasserwerkes und zur Einspeisung einer neuen Quelle im Kessel in den Hochbehälter nun durchzuführen. Damit beginnen langwierige Verhandlungen mit der Gemeinde Lauterbach. Zunächst soll ein Ingenieurbüro ausgeschrieben werden.
 
-Der im Jahre 1895 gegründete Mihlaer Darlehensverein hat in seinem 27. Geschäftsjahr einen finanziellen Umfang von 6 Millionen RM erreicht. Der dabei erreichte Überschuß wurde getreu dem Raiffeisengedanken für gemeinnützige Zwecke verwendet. So erhielt der Mihlaer Frauenverein 800 RM zum Erhalt und zur Pflege der Schwesternstation, 200 RM erhielt die Sanitätskolonne, 200 RM gingen an die Krankenpflege in Lauterbach und 500 RM wurden für die Verschönerung der Mihlaer Kirche eingesetzt. Der verbliebene Gewinn in Höhe von 523 RM wurde Herrn Maurermeister Hasert übergeben, um die im Kriege abgegebenen Zinnpfeifen der Orgel zu erneuern.
 
- Am 21. Mai trifft während eines Gewitters ein Blitzschlag Kirche und Kirchturm. Es wird erheblicher Schaden an der Verschieferung des Turmes und an der elektrischen Anlage angerichtet.
 
Juni/Juli:
 
- Endlich ist Baubeginn bei der Sodafabrik Buchenau. Viele Mihlaer erhoffen sich in dieser schwierigen Situation neue Arbeitsplätze.
 
- Fleischermeister Müller schlachtet einen Ochsen von 21 Zentnern!
 
- Zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung sind auf die entsprechende Ausschreibung hin 31 Angebote eingereicht worden. Den Zuschlag erhält der Ingenieur Schäfer aus Weimar (siehe unter "Das gemeinsame Trinkwasserprojekt Mihla- Lauterbach").
 

August/September:
 
- Die Bezirkshebamme Margarete Mater feiert ihr 40jähriges Dienstjubiläum. Sie brachte in dieser Zeit in Mihla 2214 Kinder zur Welt!
 
- Große Forstschäden durch Raupenfraßwerden festgestellt. Besonders betroffen sind die Wälder um Kammerforst und um das Ihlefeld.
 
- Die von der SPD geführte Landesregierung in Thüringen unter Arnold Paulssen ist (in Koalition mit der DDP) ist unter dem Druck der linken USPD zurückgetreten. Neuwahlen zum Landtag müssen durchgeführt werden und führen in Mihla zu folgenden Ergebnissen:
 
- Deutschnationale Volkspartei (DNVP): -- 7 Stimmen
- Deutsche Volkspartei (DVP): ---------- 54 Stimmen
- Landbund: --------------------------- 203 Stimmen
- Demokratische Partei (DDP): ---------- 19 Stimmen
- SPD: -------------------------------- 287 Stimmen
- USPD: ------------------------------- 156 Stimmen
- KPD: --------------------------------- 10 Stimmen
Landesweit ergeben die Wahlen folgende Sitzverteilung für den neuen Landtag in Weimar:
 
- DNVP: ------- 4 Abgeordnete
- DVP: -------- 0 Abgeordnete
- Landbund: -- 10 Abgeordnete
- DDP: -------- 3 Abgeordnete
- SPD: --------13 Abgeordnete
- USPD: ------- 9 Abgeordnete
- KPD: -------- 6 Abgeordnete.
 
Es wird eine SPD- USPD- Regierung (Linkskoalition) unter August Fröhlich (SPD) gebildet.
Die Nachbarorte Bischofroda und Berka wählen wie folgt:
 
Bischofroda: 12 Stimmen für die USPD, 0 KPD, 0 SPD, 4 DDP, 184 Landbund!
Berka: 29 Stimmen KPD, 141 USPD, 11 DDP, 253 SPD, 121 Landbund.
 
- Die Mihlaer Kirche hat eine Blitzschutzanlage nach dem System Hinderthür erhalten.Der Anschaffungswert liegt bei 1500 Reichsmark.
In Lauterbach beginnt der Bau eines Kriegerdenkmals, das ebenfalls von der Mihlaer Firma Schlothauer ausgeführt wird.
 
Oktober/November:
 
- Das Telegraphennetz wird weiter ausgebaut. Eine neue Leitung von Mihla nach Treffurt wird über den Sand und Werthausen verlegt.
 
- Das Mihlaer Rathaus ist fertiggestellt. Neben dem Amtszimmer enthält es auch eine Dienstwohnung.
 
- Das Kirmesfest bringt eine große Überraschung: Während des Festes tauchte plötzlich ein vierter Husar auf und gesellte sich gegen den Widerstand der anderen zur Reiterschar. Ursache des in der Mihlaer Kirmesgeschichte einmaligen Vorgangs ist der schon lange schwelende Streit zwischen Bauern- und Arbeitersöhnen, wer alsHusar aufreiten darf. Es ist in Mihla Tradition, daß nur Bauernsöhne mit ihren Pferden Husaren werden können. Dies hatte immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt, da die Arbeiterkinder eine sich ständig vergrößernde Anzahl darstellen. Nun hat Karl Felsberg den Bann gebrochen. Er ist der vierte Husar und sein Einsatz verändert die Mihlaer Tradition.
 
Dezember:
 
- Die ehemals gothaischen Orte Lauterbach, Neukirchen und Nazza sind nun in den Kreis Eisenach übernommen. Die Verwaltungsreformsoll aber noch weiter geführt werden. Es ist angekündigt, daß sich Lauterbach und Mihla zu einer Gemeinde zusammenschließen sollen.
 
- Die Straße Neukirchen- Nazza soll als Staatsstraße ausgebaut werden. Sie ist in einem schlechten Zustand.
 
- In Mihla gibt es wieder Wassermangel. In Fässern muß das Werrawasser in den Ort gefahren werden.
 
- Es wird nach den Gewehren der einstigen Einwohnerwehr (1919 aufgestellt) gefahndet. Die Vermutung liegt nahe, daß diese zum Aufbau geheimer Waffenlager genutzt werden. Über solche Waffenlager geheimer Organisationen gibt es viele Gerüchte. Nach Zeugenaussagen, die der Gendarm ermittelt, sollen die meisten Gewehre jedoch in der Werra versenkt worden sein.
 
- Der für November angesetzte Termin der Neuwahl des Bürgermeisters in Mihla muß verschoben werden, da sich der Gemeinderat noch nicht über die Höhe der Besoldung einig ist.
Die Wahl wird durch den Gemeinderat vollzogen.
 
 
 
Die Mihlaer Werraschwimmfahrten
 
Mit der aufkommenden Vereinsbewegung des 19. Jahrhunderts entstand in Mihla der Gedanke, einmal im Jahr ein Volksschwimmen in der Werra durchzuführen. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die ersten "Schwimmfahrten" durchgeführt und bald stellte sich ein fester Ablaufplan ein. Organisator waren der Mihlaer Turnverein, dann der Sportclub 1912 und später der Schwimmverein.
 
Die Teilnehmer wurden feierlich in Mihla begrüßt. Seit 1908 erfolgte die Anreise der Gäste meist mit der Bahn und daher ging es im Festzug mit Blasmusik vom Bahnhof zur Werra. Zwei Strecken wurden angeboten; eine längere, für geübte Schwimmer, von oberhalb Freitagszella, und eine kürzere Strecke. In Begleitung von mit Zuschauern und sogar Blaskapellen besetzten Kähnen ging es die Werra abwärts bis zum Mihlaer Bad (am linken Werraufer, zwischen der heutigen Werrabrücke und Fährhaus gelegen). Dort fanden dann Siegerehrungen und Schwimmvorführungen aller Art statt, meist schloß ein gemütlicher Tanzabend die Schwimmfahrt ab.
 
Unterbrochen wurden diese Schwimmfahrten nur durch Kriegsjahre von 1914 bis 1918.
Die letzte Schwimmfahrt fand im Sommer 1938 statt.
Seit den 20er Jahren erhielten alle Teilnehmer eine Plakette zur Erinnerung.
 
Über diese Feste berichteten auch immer die Eisenacher Zeitung. Folgen wir der Darstellung über die Schwimmfahrt des Jahres 1920:
19. Juli 1920
"Die diesjährige Werra- Schwimmfahrt bei Mihla war vom Wetter außerordentlich begünstigt. Diesen Umstande mag wohl auch die rege Beteiligung an derVeranstaltung zuzuschreiben sein. In denkbar bester Stimmung erreichten die Vereine aus Eisenach, Mühlhausen, Gotha gegen 9.00 Uhr ihren Bestimmungsort Mihla, das seine Gäste durch muntere Klänge einer am Bahnhof aufgestellten Kapelle begrüßte. Nachdem die Schwimmerinnen und Schwimmer erst einmal vom Mihlaer Sportverein mit einer kurzen Ansprache und einem fröhlichen "Gut Naß" begrüßt worden waren, suchte man die Umkleideräume auf, die trotz ihrer Geräumigkeit in erstaunlich kurzer Zeit vermietet waren."
 
Im Badekostüm ging es hierauf die Werra aufwärts, zur Abgangsstation, wo die Schwimmer staffelweise ihrem Elemente übergeben wurden. Wenn auch hier wie überall ein gewisses "Hintenherum" bemerkbar war, so konnte doch von einer stattlichen Anzahl die rund 3000 Meter lange Wasserstrecke glatt zurückgelegt werden.
Das Alter stand in Bezug auf Leistungen der Jugend in keiner Weise nach. Auch an heiteren Szenen fehlte es nicht.
Kommt da eine Dame im Badetrikot ahnungslos über den Viadukt geschritten, als plötzlich ein pflichteifriger Bahnbeamter, jedenfalls auch "ahnungslos", Einsicht in ihre Papiere verlangt.
In einem anderen Falle wurden einige Schwimmerinnen mit einer Gänsepeitsche aus dem verbotenen Flurstück getrieben, eineAusweisung, die aber trotz ihrer recht ungeschliffenen Art, durchaus nicht schief genommen, sondern mit einem fröhlichen Lachen von der "Gänseherde" quittiert wurde.
 
Ein Sonderzug brachte nachmittags 1/2 8 Uhr die Teilnehmer wieder zur Heimat, undder recht schwungvoll verlaufene Tag wird wohl allen Schwimmerinnen und Schwimmern noch lange in angenehmer Erinnerung bleiben.