1822 - Dem „Weißen Schloss“ in Mihla auf der Spur 

Die Bezeichnung der Mihlaer Schlösser, einst drei und drei Vorwerke „Auf dem Sand“, ist nicht leicht zu verstehen. Die Namen für die Schlösser haben sich immer wieder geändert und oft meint man mit dem Namen das gleiche Gebäude, das aber unter einen anderen Namen bekannt ist. 

Heute spricht man vom „Grauen Schloss“, Hotel und Gaststätte, und dem „Roten Schloss“, noch leerstehend und zuletzt als Altenheim genutzt. 

Vor 200 Jahren wurden die Mihlaer Schlösser wie folgt bezeichnet: Vorderes und mittleres Schloss sowie „Rotes Schloss“. Genannt wurde auch Vorderes Weißes und Mittleres Weißes Schloss. Dann kam die Bezeichnung der Blauen Schlösser für beide Gebäude auf, was sicher mit der damals erfolgten Schiefereindeckung zusammenhing. Nur das Rote Schloss, übrigens nicht wegen der Dachziegel, sondern wegen der mit Ochsenblut rot gestrichenen Fachwerkbalken so genannt, blieb immer bei seinem Namen. 

Nachdem nun das „Mittlere Weiße (oder Blaue) Schloss“ um 1838 abgerissen worden war bürgerte sich für das nicht vom Abriss betroffene Gebäude der Name „Graues Schloss“ ein, den es bis heute trägt. 

Wo liegen die Ursachen für diese offensichtliche Verwirrung? Die adlige Harstallfamilie entwickelte im Verlauf ihrer Geschichte mehrere Familienlinien, aus der „älteren“ Linie entstand nach der Reformation eine neue katholische Linie mit dem Herrschaftsschwerpunkt in Diedorf und Treffurt, später eine weitere katholische Nebenlinie in Berteroda, und mehrere evangelische Linien in Creuzburg, Eschwege und Mihla. Alle verfügten nach dem damaligen Erbrecht über den Besitz zur gleichen Hand und waren als Agnaten Mitbelehnte. Verständlicherweise führte dies immer wieder zur Zersplitterung des Grundbesitzes und zu unzähligen Streitfällen in der Familie. 

Nach mehreren dieser Erbteilungen saßen im Verlauf des 16. Jahrhunderts gleich drei Sippen in Mihla. Dieser Umstand führte schließlich dazu, dass der ursprüngliche Herrschaftssitz, die aus dem 13. Jahrhundert stammende „Kemenate“, eine kleine Wasserburg, eben das heutige Graue Schloss, nicht mehr ausreichte, um alle Familien standesgemäß zu beherbergen. Am westlichen Flügel des heutigen Grauen Schlosses wurde ein Anbau errichtet wurde. Der bauliche Anschluss erfolgte im Bereich des Fachwerkerkers, der noch heute die Westfront ziert. So entstand die Bezeichnung Mittleres Schloss und Vorderes Schloss, wobei der Farbenname „Weiß“ bald mit der Dacheindeckung in Schiefer in „Blau“ geändert wurde. 

1581 kam dann auf der anderen Seite der Lauter in den dort noch vorhandenen Bauresten eines früheren Wirtschaftshofes des Erzbistum Mainz ein weiterer Schlossbau, das Rote Schloss, hinzu. 

Hierdurch lässt sich auch die Bauzeit des Mittleren Schlosses ungefähr bestimmen. Die Bezeichnung „Mittleres Schloss“ macht nur Sinn, wenn das Rote Schloss schon bestanden hat. Ansonsten wäre diese Bezeichnung falsch. Also müsste das Mittlere Schloss in den Jahren nach 1571 an die frühere Kemenate angebaut worden sein. Damit wäre nach dieser Bezeichnungslogik das Rote Schloss von der Familie als das „hintere“ Schloss aufgefasst worden, der ursprüngliche Hauptsitz der Familie dagegen als „vorderes“ Schloss. 

Nachdem das neue Schloss, das mittlere, immer mehr baufällig wurde und vor allem leer stand, da im 19. Jahrhundert der frühere Kinderreichtum ausblieb, wurde das Mittlere Schloss um 1838 abgerissen. So wurde der Blick auf das heutige Graue Schloss ein ganz anderer, obwohl damals noch zahlreiche Nebengebäude bis zur heutigen „Schlossallee“ standen. 

Vom abgerissenen Schloss, eigentlich ein Seitenflügel, sind keinerlei Zeichnungen oder Abbildungen irgendeiner Art vorhanden. Es gab nur Vermutungen über das Aussehen. 

Durch Herrn Christoph Cron, Ortschronisten in Scherbda, erhielt ich unlängst eine Katasterkarte der Ortslage Mihla, die im Jahre 1829 gezeichnet wurde. Neben den Grundstücksnummern enthält sie auch die damaligen Gehöfte und Gebäude recht genau eingezeichnet. 

Da das mittlere Schloss um 1838 abgerissen wurde, kann man anhand der Karte die zum Komplex der beiden Schlösser gehörigen Gebäude zumindest vom Grundriss her rekonstruieren. 

Versuchen wir es: 


Ausschnitt aus der Katasterkarte von 1829. 


Blick vom Mihlaer Kirchturm auf den Komplex des Grauen Schlosses um 1920. Gut zu erkennen der Torbogen, der das gesamte Areal vom Dorf trennte, der sich links anschließende alte Pferdestall sowie das rechte Fachwerkhaus, welches als Verwalterhaus ebenfalls zum Schloss gehörte. 

Die Grundstücke der Harstallschlösser in Mihla tragen die Nummern 19 (Mittleres Schloss), 20 (Vorderes Schloss = heutiges Graues Schloss) und 21, der Bereich der Wirtschaftsgebäude, heute Pferdestall. 

Von den eingezeichneten Gebäuden stehen heute lediglich noch das Graue Schloss und der einstige „Zinsboden“, eine große Scheune auf dem Grundstück 21, heute vom Reitverein als Pferdestall genutzt. 

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das große Stallgebäude an der damaligen Schlossgasse einschließlich der Nebengebäude abgerissen, der Torbogen, sein Standort ist auf der Karte gut zu erkennen, musste schon 1949 weichen. 

Zum Mittleren Schloss. Es setzte sich offenbar aus zwei Gebäudeteilen zusammen. An das heutige Graue Schloss öffnete ein Zwischenbau, niedriger als der Erker des Grauen Schlosses, den Zugang zum eigentlichen Hauptgebäude. Dieses stand etwa 20 Meter südlich des Schlosses, heute unweit des Sparkassengebäudes auf der großen Wiese und war ein recht komplexer langgestreckter Bau. An der zur Lauter hin liegenden Südwestseite war ein Turm, vermutlich ein Treppenturm ähnlich des Grauen Schlosses, angebaut, von dem wir keine weiteren Kenntnisse haben. 

Wenn der Anschlussbau zum Grauen Schloss als Zwischenbau angesehen wird, könnte das eigentliche Mittlere Schloss sicher die Höhe des Grauen Schlosses erreicht haben. 

Die Verbindung zwischen Grauem Schloss und dem Mittleren Schloss war über die Gebäude einmal in der oberen Etage des Zwischenbaus möglich. Diese recht breite Öffnung wurde nach dem Abriss des Mittleren Schlosses durch das Einfügen eines Fachwerkerkers geschlossen. 


Auf dieser Ansichtskarte aus DDR-Zeiten war das Graue Schloss noch unverputzt. Am linken Erker ist der Giebelansatz des Zwischenbaus gut erkennbar. Darunter befand sich der Zugang zum Zwischenbau und dem Mittleren Schloss, später durch den Erker geschlossen. Der Zwischenbau hatte nur eine mäßige Breite und führte zum Mittleren Schloss. Dessen Gebäudeteile dürften rechts am Bildrand begonnen haben. Ein weiterer Zugang war ebenerdig (Tür verdeckt hinter dem Denkmal) vorhanden. 

Neben den Zugängen vom Grauen Schloss über den Zwischenbau war das Mittlere Schloss nach den Hinweisen der Katasterkarte auch vom „Garten“, dem Bereich nördlich des alten Pferdestalls, zugänglich. Ein weiterer Zugang zum Zwischenbau befand sich zum Grundstück 20, dem Garten des heutigen Grauen Schlosses. Dort trennte eine Mauer beide Grundstücke ab und durch ein kleines Tor gelangte man in einen schmalen Innenhof, von dem aus man dann den Zwischenbau ebenerdig betreten konnte. 

Diese Mauer befand sich wohl direkt hinter der alten Linde, die lange Zeit den Garten des Grauen Schlosses markierte. 

Sicher würde man bei Erdarbeiten auf die Grundmauern der vielen abgebrochenen Gebäude stoßen. So übrigens geschehen beim Bau des Hauptsammlers für das Mihlaer Klärwerk, als man auf die alten Wassergräben der früheren „Kemenate“, der Wasserburg der Herren von Harstall, stieß. 

Heute breitet sich eine Wiese dort aus, wo über mehrere Jahrhunderte hinweg zwei Familien der Mihlaer Harstalls auf engstem Raum lebten. Die Kenntnis über das Mittlere Weiße Schloss ist beinahe völlig vergessen. 

Rainer Lämmerhirt